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AutorenbildSilvan Brun

nutella® geht auf die Nüsse


nutella®, evoo.expert
(nutella®, ein begehrtes Junk-Food. Bild: ©neydt/123RF.COM)

Dieser Beitrag ist am 7. September 2021 zuerst erschienen auf www.masterofoliveoil.com.


Den Holdingsitz in Luxembourg, das Palmöl aus Südostasien, den Zucker aus Südamerika, die Haselnüsse aus der Türkei, die Kakaobohnen aus Südamerika. nutella® von Ferrero ist ein internationales Produkt durch und durch. Doch nun will der italienische Süsswarengigant sein nutella® einen Deut italienischer machen. Dazu sollen Olivenbäume Haselnusssträuchern weichen.


The Italian confectionery company Ferrero spent almost CHF 61 million on advertising in Switzerland in 2020. This put it in fourth place in the ranking of companies with the largest advertising expenditure on Swiss territory, after the busy Swiss cooperatives Coop and Migros and the US general merchandise group Procter & Gamble (Pampers, Always, Braun, Gillette, etc.).[1] With the help of advertising, Ferrero brings tons of sweets to the people. The best-known products advertised in Switzerland by the multinational confectionery manufacturer, which employs around 35,000 people, include the well-known sugar-palm oil-hazelnut spread nutella®, as well as the chocolate bars, the milk slice and the Kinder brand surprise egg, the Ferrero Rocher, Raffaello, Giotto and Mon Chéri chocolates, and the Yogurette and Duplo chocolate bars.[2]


Hauptzutaten für Ferreros süsse Versuchungen sind zumeist Kristallzucker, raffiniertes Palmöl, Milchpulver und Haselnüsse. Während das italienische Unternehmen für den deutschen Markt in seinem eigenen Werk in Deutschland beispielsweise aus Rüben gewonnen Zucker aus Deutschland und Frankreich verarbeitet[3], bezieht es das Palmöl hauptsächlich aus Indonesien[4] und die Haselnüsse aus der Türkei, aus Italien, aus Chile oder aus den USA[5]. Türkei ist heute mit Abstand der grösste Erzeuger von Haselnüssen (776'000 Tonnen im Jahr 2019), Italien folgt auf Platz zwei (99'000 Tonnen). Woher Ferrero insbesondere für das Produkt nutella® das Milchpulver bezieht, wird auf der firmeneigenen Website nicht verraten.

«7 hochwertige Zutaten, sonst nichts», schreibt Ferrero. (Bild: Screenshot https://www.nutella.com/de/de/entdecke-nutella/qualitat-und-zutaten) evoo.expert Master of Olive Oil
«7 hochwertige Zutaten, sonst nichts», schreibt Ferrero. (Bild: Screenshot https://www.nutella.com/de/de/entdecke-nutella/qualitat-und-zutaten)

Darf's ein bisschen mehr Italien sein?

Klar scheint nun aber, dass Ferrero eine der «sieben hochwertigen Zutaten», wie die nutella®-Ingredienzen auf nutella.com genannt werden, künftig vermehrt aus Italien beziehen will. Nämlich die Haselnuss. Und dies obschon die Piemonteser im Jahr 2013 119 Millionen Euro für die Errichtung einer Fabrik in der Türkei investiert und ein Jahr später, im Sommer des Jahres 2014, den weltgrössten Haselnusserzeuger, das türkische Familienunternehmen Oltan (damals mit einem geschätzten Jahresumsatz von 500 Millionen $) einverleibt hatten.[6]


Grund dafür dürfte gemäss Financial Times, die das Thema am 21. August 2021 in einem Online-Artikel aufgegriffen hatte, sein, dass von Herstellern gefordert werde, Lieferketten zu verkürzen und die lokale Produktion zu fördern.[7] Die SonntagsZeitung der TX Group oder besser von Tamedia (TX Group soll bekanntlich schon ein anderes Unternehmen aus Rapperswil heissen[8][9]), die am 5. September 2021 auf die Haselnussstory rund um Ferreros nutella® aufgesprungen ist, sieht aber noch einen anderen Grund, warum Ferrero künftig vermehrt auf italienische Haselnüsse setzen will. Ein anderes italienisches Schwergewicht der globalen Lebensmittelindustrie soll dafür verantwortlich sein: Barilla![10] Der Getreideverarbeiter aus Parma hat mit «Pan di Stelle» im Jahr 2019 nämlich eine Streichcreme auf den Markt gebracht, die dem weltbekannten nutella® den Rang ablaufen soll. Oder zumindest versucht Barilla, mit Pan di Stelle einige Krümel des lukrativen Marmeladenmarktes abzubekommen. Im Gegensatz zum Piemonteser Ferrero-Konzern, der mit einer Abnahmequote von 30 Prozent der international gehandelten Haselnussmenge[11] als weltgrösster Haselnussabnehmer gilt und den Grossteil der zu verarbeitenden Haselnüsse aus der Türkei beschafft, berücksichtige Pastafabrikant Barilla aus der Emilia für seine Pan di Stelle-Rezeptur offenbar ausschliesslich italienische Haselnüsse. Dieser Umstand habe italienische Politiker auf den Plan gerufen, so die SonntagsZeitung wie die Financial Times, Druck auf Ferrero auszuüben, Rohware wenn möglich lokal beschaffen zu müssen.


Allerdings wäre Ferrero nicht Ferrero, wenn das Unternehmen den Trend und auch die Bemühungen von schwergewichtigen Konkurrenten, ebenfalls in den Marmeladenmarkt einsteigen zu wollen, nicht schon früh erkannt und daraus ableitend Massnahmen eingeleitet hätte. Bereits im Jahr 2018 hat die Ferrero Hazelnut Company (HCo), eine 100-prozentige Ferrero-Tochter, die sich um alle Belange rund um die konzerneigene Haselnussbeschaffung und -verarbeitung kümmert, das Projekt «Nocciola Italia» (deutsch italienisches Haselnussprojekt) gestartet, um die Anbaufläche Italiens für Haselnusssträucher um 22'000 Hektar (+33 %) zu erweitern.[12]

Ferrero Hazelnut Company (Bild: Screenshot https://www.ferrerohazelnutcompany.com/it/it/) Master of Olive Oil evoo.expert
Ferrero Hazelnut Company (Bild: Screenshot https://www.ferrerohazelnutcompany.com/it/it/)

Mehr italienische Haselnüsse. Mehr intensive Monokulturen.

Mehr Italianità für nutella® also. Doch, was für italienische Schleckmäuler zunächst gut klingen mag, ist in den Augen vieler Landwirte und Bürger betroffener Regionen eine Bedrohung für das ökologische Gleichgewicht. In einem offenen Brief mit dem Titel «Progetto Nocciola Italia? No grazie», unterzeichnet von Bürgermeister Moreno Botti, hätten Menschen des toskanischen Arnotals (Valdarno) ihre diesbezüglichen Sorgen kundgetan. Die Projektideen des Süsswarengiganten Ferreros widersprächen einerseits den Grundsätzen Ferreros, die Umwelt schützen und die Biodiversität fördern, und andererseits den von den Gemeinden der Region Toskana unterstützen Plänen, intensive Monokulturen aufgeben zu wollen.[13][14]



«Von Olivenplantagen und Weinreben, die wegen der klimatischen Bedingungen äusserst gut gedeihen, ist nicht mehr viel übrig geblieben.»

- Bianca Lüthy über die Situation in Vignanello, SonntagsZeitung, 5. September 2021



Eine Erweiterung des intensiven Haselnussanbaus führe zu einem höheren Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln. Schlussfolgernd daraus entstünden Wasserverschmutzung und Bodenerschöpfung. Aber nicht nur das. Landwirte würden sich in eine viel grössere Abhängigkeit der Geopolitik und der damit zusammenhängenden Industriepreise begeben. Ihr Land würde sich mit den Jahren und dem fortwährenden Einsatz von chemischen Mitteln auf lange Sicht entwertet. Dies wiederum führte zu wirtschaftlicher und kultureller Identitätsverarmung. Zudem würde auch der Tourismus darunter leiden, wenn das gewohnte Landschaftsbild mit Olivenbäumen und Weinreben der intensiven Haselnusskultur weichen müsste. Letzteren Punkt schnitt auch die SonntagsZeitung in ihrem Artikel vom 5. September 2021 an. Anderer Schauplatz, gleiches Spiel. Vignanello, in der südlicheren Region Latium. Hier wichen Olivenhaine und Weinberge bereits intensiv angebauten Haselnusssträuchern, die Ferrero, dem Piemonteser Konzern mit luxembourgischer Holding, zu noch mehr Gewinn und vor allen Dingen zu einem besseren und italienischeren Image verhelfen sollen.


Ferrero erklärte zwar, dass sich der Plan zur Umlagerung der Haselnussproduktion auf Regionen konzentriere, in denen Haselnussplantagen mit anderen Kulturen integriert werden könnten, und fügte hinzu, dass man auch verhindern wolle, dass nicht bewirtschaftete landwirtschaftliche Flächen aufgegeben würden. Wie die Financial Times am 22. August 2021 schrieb, weisen Umweltexperten jedoch darauf hin, dass dies bereits dazu geführt hat, dass die örtlichen Landwirte Haselnusssträucher an Orten anpflanzten, an denen sie in der Natur gar nicht wachsen würden, zum Beispiel in unmittelbarer Meeresnähe. «Je mehr wir diesen Ansatz verfolgen, desto mehr bewegen wir uns auf einen Punkt zu, an dem es kein Zurück mehr gibt», sagte beispielsweise Goffredo Filibeck, ein Umweltforscher, der an der Universität Tuscia in Viterbo arbeitet.


Umweltschützer sagen auch, dass Monokulturen die Ausbreitung von Pflanzenkrankheiten und Insekten begünstigen, was unweigerlich zu einem höheren Einsatz von Pestiziden und Herbiziden führen würde. Das nationale Konjunkturprogramm der italienischen Regierung enthält jedoch eine 6,8 Milliarden Euro schwere Agrar-Komponente, die unter anderem darauf abzielt, den ökologischen Landbau zu fördern, die Artenvielfalt zu verbessern und den Einsatz von Chemikalien zu verringern.




«Mindestens einmal wöchentlich haben wir es in der Hand, die Richtung, in die es gehen soll, vorzugeben. Nämlich dann, wenn wir unseren Lebensmitteleinkauf tätigen.»

- Silvan Brun, Master of Olive Oil



Projektinitiator Ferrer weist die Behauptung, sein Haselnussprojekt «Nocciola Italia» würde die Umwelt schädigen, entschieden zurück. «Der Haselnussanbau zerstört die italienische Landschaft nicht; vielmehr hat das Land eine lange Tradition im Haselnussanbau und ist eines der Haupterzeugerländer, wobei italienische Haselnüsse von Unternehmen aus verschiedenen Branchen verwendet werden», heisst es in einer Erklärung gegenüber der Financial Times. Zudem, so Ferrero, hätten viele Landwirte die neuen Einkommensmöglichkeiten durch den Anbau von Haselnüssen begrüsst.


Haselnuss, Kakaobohne und Palmöl - Menschenhandel und Kindersklaven

Dass italienische Landwirte den unrentablen traditionellen Olivenanbau aufgeben, um kurz- bis mittelfristig oder besser bis zu jenem Zeitpunkt, an welchem die Böden erschöpft und die Ländereien entwertet sein werden, in den intensiven Anbau von Haselnüssen einsteigen, ist erstens verständlich - wenn man berücksichtigt, dass viele Menschen ganz grundsätzlich nur kurzfristig denken und dabei das grosse Ganze sträflich ausser Acht lassen - und zweitens ist diese Entscheidung zu akzeptieren. Denn, wer jetzt angesichts des Haselnussbooms Bedenken äussert und die italienischen Bauern für deren Entscheidung, einen Teil des Kuchens oder zumindest - um hier die Grössenverhältnisse nicht manipulativ zu verschieben - ein Paar Krümel abbekommen zu wollen, kritisiert, dem sei gesagt, dass er nichts mehr als ein Heuchler ist. Mindestens einmal wöchentlich haben wir es in der Hand, die Richtung, in die es gehen soll, vorzugeben. Nämlich dann, wenn wir unseren Lebensmitteleinkauf tätigen. Wir lenken die Geldströme. Das war schon immer so. Allerdings ist das nur wenigen Menschen bewusst. Wer nutella® kauft, unterstützt damit unweigerlich die Politik und natürlich die Kasse des Ferrero-Konzerns. Ob das gut oder schlecht ist, soll jeder für sich selber entscheiden. Ebenso gilt es, zu hinterfragen, ob Alternativen zu nutella® wie Barillas Pan di Stelle wirklich besser sind. Denn die Haselnuss, die Frucht der Ölpalme und die Kakaobohne gelten ohnehin als problematische Rohstoffe. Nicht unbedingt wegen den Nährwerten, sondern viel mehr wegen den Anbau- und Erntebedingungen. Alle drei Rohstoffe stehen im Zusammenhang mit der Ausbeutung von Kindern (Kinderarbeit) und dem Menschenhandel international im Fokus von Beobachtern. Und, obschon betroffene Nahrungsmittelmultis wie Nestlé[15], Barry Callebaut[16], Lindt[17], Mars[18], Mondelēz[19], Unilever[20], Cargill[21], Hershey[22] und auch Ferrero[23][24] immer wieder beteuern, mit ihren eigens zu diesem Zweck entworfenen Chartas, Action Plans - und wie die Konzepte noch genannt werden - viel gegen Kinderarbeit unternehmen zu wollen, sind sie praktisch ausnahmslos hin und wieder in einen neuen Fall der Kinderausbeutung verwickelt[25]. Unzählige Berichte, Reportagen und Filmbeiträge gibt's zu diesem brisanten Thema. Wer sucht, der findet!

Lindt & Sprüngli und das Farming Program gegen Kinderarbeit (Bild: Screenshot https://www.lindt-spruengli.com/press-releases-and-news/wie-ein-besserer-zugang-zu-bildung-das-risiko-von-kinderarbeit-vermindern-soll/) Master of Olive Oil evoo.expert
Lindt & Sprüngli und das Farming Program gegen Kinderarbeit (Bild: Screenshot https://www.lindt-spruengli.com/press-releases-and-news/wie-ein-besserer-zugang-zu-bildung-das-risiko-von-kinderarbeit-vermindern-soll/)

Die Frage darf also lauten: Wird nutella® künftig einen Tick empfehlenswerter, weil Ferrero - zumindest für den italienischen Markt - in Bälde vermehrt auf Haselnüsse aus Italien zurückgreifen wird? Immerhin ist Kinderarbeit im italienischen Haselnussanbau nicht zu erwarten. Dennoch, mindestens zwei Probleme, die aus ethischer Sicht - wobei Ethik für jeden etwas anderes bedeuten kann - auszumachen sind, bleiben bestehen. Denn, Kakaobäume und Ölpalmen dürften auch mittelfristig kaum in Italien angebaut werden. Und, schliesslich schlussfolgert Nestlé schon im allerersten Absatz des Menüpunktes «Wie hilft Nestlé, Kinderarbeit zu verhindern?» auf der konzerneigenen Webseite: «Auch wenn es schwierig ist, Kinderarbeit vollständig auszumerzen, sind wir entschlossen, dies zu erreichen.»[26] Mit anderen Worten: Wer im Supermarkt Schokolade kauft, ganz gleich ob es sich dabei um nutella®, Giotto, Raffaello, Lindt oder eine preisgünstige Kochschokolade handelt und ganz gleich ob das einen italienischen, einen deutschen oder einen Schweizer Supermarkt betrifft, unterstützt wissentlich oder unwissentlich den Handel und die Versklavung von Kindern.


Wie weit gehen wir zur Aufrechterhaltung unserer Gewohnheit?

Wenn man sich vorstellt, wie sich Kinder hierzulande nutella® von den Fingern lecken, welches mutmasslich nur mit Hilfe von gleichaltrigen Kindern, die in fernen Ländern unter widrigsten Bedingungen und unter Zwang Kakaofrüchte, Haselnüsse und Früchte der Ölpalme ernten, hergestellt werden konnte, wird einem bewusst, wie paradox und krank diese Situation ist. Wie weit gehen wir, um unseren unbekümmerten, konsumfreudigen Lebensstil aufrechterhalten zu können? Um unseren Kindern jeden Sonntagmorgen eine Scheibe Weissbrot mit nutella® bestreichen und eine kalte Schokolade bereitstellen zu können? Über Kindersklaven? Ja. Eindeutig ja. Vielleicht erklärt dieses Verhalten auch die gegenwärtige Situation rund um Corona. Es ist die Gewohnheit, die Bequemlichkeit, die uns Dinge machen lässt, die man als fühlender und denkender Mensch eigentlich nicht tun sollte. Mir geht diese Kurzsichtigkeit tierisch auf die Nüsse!

 

Quellen

Die referenzierten Quellen führen automatisch auf die entsprechende Beitragsseite von www.masterofoliveoil.com.

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