Die Tatsache, dass sich Olivenöl zurzeit - und je nach Preiskategorie stark - verteuert, dürfte der breiten Bevölkerung mittlerweile aufgefallen sein. Insbesondere die Preiseinstiegsware wurde deutlich teurer, wie sich am Beispiel von Coops "Prix Garantie Olivenöl vergine" zeigt. Vor zwei Jahren kostete ein Liter CHF 4.10. Im Mai 2023 verlangt Coop dafür CHF 7.00[1]. Ein Aufschlag von über 70 %. Alleine seit Dezember 2022 verteuerte sich das Produkt um 16.67 %. Die in der Schweiz am zweithäufigsten verkaufte Olivenölmarke "Filippo Berio Il Classico" - ebenfalls und ausschliesslich bei Coop erhältlich - machte innerhalb von zwei Jahren einen Preissprung von etwas mehr als 18 %. Der Preisanpassung seit Dezember 2022 beträgt 13.79 %. Neu kostet die Einliterflasche CHF 16.50[2]. Vor zwei Jahren zahlte die Kundschaft für dasselbe Produkt noch CHF 13.95, im Dezember 2022 waren es CHF 14.50.
Als Grund für die zum Teil massiven Preissprünge werden einerseits die mengenmässig schlechte Erntekampagne 2022/2023 auf der iberischen Halbinsel (Spanien & Portugal) und in Italien sowie die aufgrund der anhaltenden Trockenheit - vor allem in Spanien, aber auch in Italien - pessimistischen Ernteaussichten für die herannahende Kampagne 2023/2024 genannt. Zahlreiche Medien berichteten in den vergangenen Wochen und Tagen über eine drohende Verknappung des Olivenölangebots.[3][4][5][6]
Eine Verknappung der Verfügbarkeit hat in der Regel eine Preiskorrektur nach oben zur Folge. Und umgekehrt ebenso. Und, in der Tat hat Spanien in der jüngsten Kampagne 2022/2023 mutmasslich 54 % weniger Olivenöl erzeugen können als in der Vorjahreskampagne 2021/2022.[7] Mutmasslich deshalb, weil die Zahlen auf einer Hochrechnung beziehungsweise auf einer Schätzung beruhen.
Hinweis zum Zeitraum der offiziellen Erntekampagnen
Die Oliven gedeihen in den Anbaugebieten rund ums Mittelmeer, nachdem die Bestäubung der Blüten stattgefunden hat, vom Spätfrühling bis in den Herbst hinein, ehe sie im optimalen Zustand geerntet werden können. Die politisch festgelegte Erntekampagne startet jeweils zum 01.10. eines Jahres hin und endet jeweils am 30.09. des Folgejahres. Das Pflücken oder (Ein-)Sammeln der Oliven wird in Südspanien in der Regel nicht länger als bis Mai praktiziert, und dort auch nur deshalb so lange, weil die Olive im Zuge ihres stets fortschreitenden Reifegrades an Wasser verliert und so entsprechend weniger Gewicht auf die Wage bringt, wodurch das Einsammeln und die Logistik günstiger werden und der prozentuale Ölertrag gemessen am Gewicht der Oliven steigt; soll es jedoch gutes Olivenöl werden, müssen die Oliven in nicht zu reifem Zustand spätestens bis - je nach Anbaulage - Mitte Dezember (im Idealfall ist das Fruchtfleisch noch nicht dunkel) von den Bäumen gepflückt und zu Öl verarbeitet worden sein.
Die italienischen Erzeuger mussten im Vergleich zum Vorjahr eine Einbusse von 27 % hinnehmen. Insgesamt produzierten die EU-Länder in der jüngsten Erntekampagne im Vergleich zur Vorjahresperiode rund 40 % weniger Olivenöl. Lediglich Griechenland verzeichnete in der Kampagne 2022/2023 einen Mengenzuwachs. Plus 42 % ggü. Vorjahr. Mit einer Produktionsleistung von ca. 330'000 Tonnen steigen die Hellenen nach den Türken (ca. 350'000-380'000 Tonnen) und vor den Italienern (ca. 240'000 Tonnen) zum zeitweilig drittgrössten Olivenölerzeuger der Welt auf.
Mit einem regenreichen Frühjahr ist Spanien imstande, gut und gerne 1.9 Millionen Tonnen Olivenöl zu erzeugen. Die Kampagne 2018/2019 zeugt eindrücklich davon. Es war dies das mengenmässige Rekordjahr. Allerdings bedeutete die hohe Ausbeute auch einen massiven Preissturz. Und das, bevor überhaupt mit dem Ernten begonnen wurde. Alleine die Tatsache, dass der Frühling 2018 sehr regenreich war, reichte aus, um den Markt in ein Chaos zu stürzen. Die grossen Händler forderten mit der Aussicht auf eine Rekordernte drastische Preisreduktionen auf den von ihnen eingekauften Positionen.
Pierluigi Tosato (Bild), ein italienischer Lebensmittelentrepreneur, sagte vor genau fünf Jahren - Ende April 2018 -, als er noch Exekutivpräsident und CEO des weltgrössten Olivenölabfüllers Deoleo SA war: «Die Preisfluktuation ist Teil des Suizidmodells, das gilt in beide Richtungen.»[8] Und: «Das Suizid-Modell der Olivenölindustrie basiert auf normalen Wetterbedingungen. Aber Spanien ächzte drei Jahre unter einer Trockenheit, beginnt es zu regnen, fallen die Preise.»[9]
Heuer dreht die Preisspirale in die andere Richtung und die Händler wie auch und schlussendlich die Konsumenten sehen sich gezwungen, mehr für Olivenöl zu bezahlen. Die provisorischen Daten des Bundesamtes für Zoll und Grenzsicherheit BAZG zeigen auf, dass der Literpreis für Olivenöl der Güteklassen 1 und 2, abgefüllt in Glasbehältnisse von nicht mehr als 2 Liter Inhalt betreffend - in den ersten drei Monaten des Jahres 2023, verglichen mit der Vorjahresperiode, mit CHF 7.63 um 18.66 % zugenommen hat. Die in den ersten drei Monaten des aktuellen Kalenderjahres importierte Olivenölmenge (Güteklasse 1 und 2 in Glasbehältnissen von nicht mehr als 2 Liter) ging im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 27.97 % zurück. Sie lag im ersten Quartal 2023 bei rund 1.66 Millionen Liter.[10]
Ein hypothetischer Hinweis, dass der Olivenölkonsum in der Schweiz zurückgeht?
Die Daten des erwähnten Bundesamtes sind als provisorisch gekennzeichnet. Es kann also noch zu erheblichen Abweichungen kommen. Klar ist, dass ausser dem Olivenöl zahlreiche weitere Lebensmittel teurer wurden. Und, da Olivenöl gemeinhin nicht wirklich als Lebensmittel, sondern als funktionales Hilfsmittel verstanden wird, welches man zum Schmieren des Salatblattes einsetzt, kaum aber je nutzt, um einem Gericht eine besondere Note zu verleihen (wobei das mit der miserablen Qualität der Olivenöle, die in genügender Masse vorhanden sind, ohnehin als schwierig zu bezeichnen ist), ist es durchaus denkbar, dass die Konsumenten hier an der Kostenschraube drehen. Eigentlich unverständlich, denn der Konsum von durchschnittlich 1.8 Liter pro Kopf und Jahr[11] zeigt doch auf, dass Olivenöl - weil derart selten gekauft - über ein Jahr gerechnet nicht wirklich zu den kostenintensiven Produkten aus dem Supermarkt gehört.
Es gibt keine Olivenölknappheit
Falls sich die Konsumenten vorsorglich auf eine Olivenölknappheit, wie sie derzeit von zahlreichen Medien prognostiziert wird, vorbereiten und deshalb bereits jetzt versuchen, das flüssige Gold der Olive mit dem billigen fetten Öl der Sonnenblumenkernen oder der Rapskernen zu substituieren, darf ich an dieser Stelle Entwarnung geben.
Zu Beginn der jüngsten Olivenölkampagne 2022/2023 lagerten aus der Vorjahreskampagne noch 671'000 Tonnen Olivenöl bei den Abfüllern und Kooperativen der EU-Erzeuger. Das entspricht fast 30 % der gesamten EU-Produktion der Kampagne 2021/2022. Und es entspricht gar 48 % der Menge, welche in der EU in der jüngsten Kampagne erzeugt wurde. 671'000 Tonnen.[12] Das entspricht 732'532'751 Liter Olivenöl. Und diese Menge würde einer Schweiz mit 8.738 Mio. Einwohnern rund 46 Jahre reichen. Oder anders ausgedrückt: Jeder Einwohner der Schweiz - vom Säugling bis zum Greis - müsste seinen Konsum auf knapp 84 Liter pro Jahr steigern.
Von der im Vergleich zur Vorjahreskampagne 2021/2022 deutlich niedrigeren Produktionsmenge der jüngsten Kampagne werden gemäss Schätzungen der EU-Kommission zum 30.09.2023 hin noch gut 281'000 Tonnen in den Tanks der EU-Erzeuger und -Abfüller übrig bleiben. Selbst wenn der EU-weite Konsum nicht wie von der EU-Kommission geschätzt um 10.8 % abnehmen würde, blieben zu Beginn der neuen Ernte immer noch deutlich über 100'000 Tonnen Olivenöl nicht abgefüllt übrig.
Hoffen auf eine Stabilisierung des Preises auf vergleichsweise hohem Niveau
Die heutige Olivenölproduktion ist insbesondere für einen Grossteil der Oliven anbauenden Familien ein unrentables Geschäft. Sie tun es häufig nur noch im Nebenerwerb oder kommen gerade so durch, weil sie die Familienmitglieder, die tatkräftig mithelfen, nicht oder nur sehr spärlich bezahlen müssen. Es sind dies die Familien, welche ihre Oliven in einer Kooperative zu anonymem Öl verarbeiten lassen. Dieses wird mit Tanklastzügen in Abfüllereien transportiert, wo beispielsweise Eigenmarken-Produkte von grossen Handelshäusern oder bekannte Markenprodukte abgefüllt werden. Spottbillig im ersten Fall oder vergleichsweise teuer und dafür italienisch anmutend im zweiten. Doch, von der Liebe der Bauernfamilien zum Olivenbaum ist weder etwas zu sehen geschweige denn zu spüren.
Der Olivenölmarkt hat ein strukturelles Problem. Tosato nannte es ein «kaputtes Geschäftsmodell». Preisfluktuationen soll es im Olivenölmarkt geben dürfen - aber sie müssen zwingend auf einem anderen, ja einem viel höheren Niveau stattfinden. Olivenbauern müssen davon leben können, ihre Oliven anzubauen. Das sichert ihnen einerseits ein Einkommen und ein anständiges Leben und andererseits sichert es die Qualität des aus diesen Oliven gewonnenen Öls. Selbst, wenn das Wetter macht, was es will, müssen die Bauern dadurch nicht gleich um ihre Lebensgrundlage fürchten.
Wenn Sie sich fragen, was wir denn nun tun können, damit sich die Situation bessert, sage ich Ihnen, dass es einfacher ist, als wir glauben. Beispielsweise wenden sich immer mehr Erzeuger von der "Bulk-Produktion" ab. Das heisst, sie sind nicht mehr bereit, ihr Olivenöl "unetikettiert" an die nächste Abfüllerei zu verkaufen. Sie füllen es selber ab und verkaufen ihre eigene Olivenölmarke an von ihnen selbst angeworbene Kundschaft. Der Wechsel des Geschäftsmodells hat in der jüngeren Vergangenheit zahlreichen Olivenölerzeugern geholfen, ihr angeschlagenes Unternehmen gesunden zu lassen.
Spanien als grösstes Erzeugerland sollte mit aller Kraft dafür sorgen, dass seine Industrie ihr eigenes Öl mit Stolz und Würde in die Welt tragen kann. Man soll es nicht mehr als minderwertige und anonyme Ware an die Abfüllereien in Italien verkaufen. Die anrüchige Öldrehscheibe Italien soll nachhaltig zum Erliegen kommen. Und so tun es auch die zweifelhaften in Italien ansässigen schmuddeligen Abfüllereien, die regelmässig mit minderwertiger Ware von sich reden machen und deswegen ständig in irgendwelche gerichtlichen Prozesse verwickelt sind. In Italien soll damit auch Platz geschaffen werden für die Erzeuger von qualitativ hochwertigen Olivenölen, die ein ehrliches Handwerk verrichten.
Klar dürfte sein, wenn sich Spaniens Olivenölsektor vom italienischen Paten emanzipiert und damit beginnt, einen angemessenen Preis für seine Erzeugnisse zu verlangen, gesundet der gesamte Olivenölmarkt. Das kommt auch den Italienern zugute.
Wir können unterdessen so viel tun, dass wir künftig strikt auf EU- oder andere Ölmischungen verzichten, möglichst keine Supermarkt-Eigenmarken-, sondern Familienmarken-Öle von echten Erzeugern - ganz gleich ob spanisch, italienisch oder griechisch - kaufen und lernen, wie gutes Olivenöl riecht und schmeckt. Grünlich-fruchtig, frisch, etwas scharf und nicht selten leicht bis mittelbitter.
Vielleicht tut es gut, wenn wir uns darauf einstellen, dass künftig etwas weniger, dafür besseres und im Vergleich zu heute auch teureres Olivenöl produziert wird. Selbst wenn wir Schweizer unseren Konsum von Olivenöl verdoppeln würden, kostete das uns nicht alle Welt. Schliesslich ist echtes extra vergine Olivenöl nicht bloss ein funktionales Hilfsmittel, sondern ein der Gesundheit zuträgliches echtes Lebensmittel. Das sollten wir nie vergessen.
Quellen:
[1] Aktueller Preis für das Coop Prix Garantie Olivenöl vergine 1 l; zu finden unter https://www.coop.ch/de/lebensmittel/vorraete/essig-oel/oel/olivenoel/prix-garantie-olivenoel-vergine-1l/p/6659561
[2] Aktueller Preis für das Produkt Filippo Berio Berio Il Classico 1 l; zu finden unter https://www.coop.ch/de/lebensmittel/vorraete/essig-oel/oel/olivenoel/filippo-berio-olivenoel-extra-vergine/p/3024017
[3] Geölte Preis für Olivenöl, 30.04.2023, blick.ch; zu finden unter https://www.blick.ch/sonntagsblick/klimawandel-experten-warnen-vor-anhaltend-teuren-lebensmitteln-geoelte-preise-fuer-olivenoel-id18533498.html
[4] Warum Butter, Zucker und Olivenöl mehr kosten - und wie lange die Preise noch steigen, 19.04.2023, tagesanzeiger.ch; zu finden unter (Bezahlschranke) https://www.tagesanzeiger.ch/warum-butter-zucker-und-olivenoel-mehr-kosten-und-wie-lange-die-preise-noch-steigen-270045255581
[5] Olivenbäume in Gefahr: Dürre in Spanien treibt Preise, 08.05.2023, focusonline.de, zu finden unter https://www.focus.de/finanzen/news/duerre-in-spanien-koennte-olivenoel-zum-luxusgut-werden-lassen_id_193224044.html
[6] Olivenöl, Zucker und Co. sind bis zu 20 Prozent teurer - diese Einkommensklassen sind am stärksten betroffen, bote.ch, zu finden unter: https://www.bote.ch/nachrichten/schweizundwelt/olivenoel-zucker-und-co-sind-bis-zu-20-prozent-teurer-diese-einkommensklasse-ist-am-staerksten-betroffen-art-1474446
[7] DG AGRI DASHBOARD: OLIVE OIL, 23.03.2023, Agriculture and rural development, European Commission; zu finden unter https://agriculture.ec.europa.eu/document/download/306cf510-5934-4488-b9c1-d6abf264c381_en?filename=olive-oil-dashboard_en.pdf
[8] Wie weiter mit Bertolli & Co.? Das grosse Interview mit Pierluigi Tosato, CEO und Chairman von Deoleo; 30.04.2018, Master of Olive Oil; zu finden unter https://www.oliveoilmaster.ch/pierluigi-tosato/
[9] Addio, Pierluigi Tosato..., Master of Olive Oil; zu finden unter https://www.oliveoilmaster.ch/pierluigi-tosato-abgesetzt/
[10] Swiss-Impex, Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit BAZG, Eidgenössisches Finanzdepartement der Schweizerischen Eidgenossenschaft; zu finden unter https://www.gate.ezv.admin.ch/swissimpex/index.xhtml
[11] Olivenöl. Fast jeder hat's. Fast keiner mag's. Was ist des Geheimnis' Schlüssel?, 29.12.2020, evoo.expert; zu finden unter https://www.evoo.expert/post/oliven%C3%B6l-fast-jeder-hat-s-fast-keiner-mag-s-was-ist-des-geheimnis-schl%C3%BCssel
[12] DG AGRI DASHBOARD: OLIVE OIL, 23.03.2023, Agriculture and rural development, European Commission; zu finden unter https://agriculture.ec.europa.eu/document/download/306cf510-5934-4488-b9c1-d6abf264c381_en?filename=olive-oil-dashboard_en.pdf
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