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Stimmt es, dass man die Echtheit eines Olivenöls mittels "Kühlschranktest" ermitteln kann?

Autorenbild: Silvan BrunSilvan Brun

Nach 18 Tagen bei 0 °C ist dieses Olivenöl eingedickt und nicht mehr fliessfähig. (Bild: evoo.expert)
Nach 18 Tagen bei 0 °C ist dieses Olivenöl eingedickt und nicht mehr fliessfähig. (Bild: evoo.expert)

Die Idee besagt, dass im Kühlschrank gelagertes Olivenöl "dick" werde. Bliebe das Öl hingegen flüssig, müsse es sich folglich um ein Öl anderer Sorten, etwa Sonnenblumenöl oder Rapsöl, handeln. Doch, stimmt das?


Mit der Frage, ob man die Echtheit eines Olivenöls mittels Kühlschranktest feststellen kann, haben sich schon viele Medien beschäftigt. Die Erklärungen, warum man diese Frage sowohl mit "Ja" als auch mit "Nein" beantworten muss, sind aber meist mehr schlecht als recht. Diese Tatsache zum Anlass genommen, haben wir selbst einen Test vorgenommen und veranschaulichen hier, was mit den Ölen im Frigo passiert. Dazu haben wir Olivenöl, Sonnenblumenöl und Leinöl - jeweils in einen Becher gefüllt - in den Kühlschrank gestellt. Die Temperatur an der Rückwand des Kühlschranks lag um den Gefrierpunkt herum. Die drei Becher haben wir so nah wie möglich an ebensolche Rückwand platziert. 


Als wir die drei gefüllten Becher nach einem Tag aus der kalten Vorratskammer nahmen, zeigten die Öle bereits deutliche Veränderungen. Während das Olivenöl schon eingedickt war, blieben Sonnenblumenöl und Leinöl flüssig. Bis zu diesem Punkt ist der Kühlschranktest, um die Reinheit eines Olivenöls feststellen zu können, also kein blosser Mythos. Aber kein interessanter Roman ohne heftige Wendungen. Wir stellten die Becher erneut in den Kühlschrank und liessen sie für weitere zweieinhalb Wochen durchfrösteln.


Nach 18 Tagen im Frigo zeigte sich dann folgendes Bild:

➡️ Olivenöl: komplett eingedickt und hart

➡️ Sonnenblumenöl: praktisch keine Fliessfähigkeit mehr aber noch elastisch-weich

➡️ Leinöl: Sehr hohe Viskosität aber immer noch fliessfähig




Die Temperatur in Kombination mit dem Faktor Zeit veränderte also auch die Eigenschaften von Sonnenblumenöl in erheblichem Masse.

Wir gaben die Proben erneut in den Kühlschrank, dessen Temperatur wir nun etwas nach oben regulierten, und liessen sie für 15 weitere Tage darin ruhen. Bei der erneuten Beugtachtung zeigte sich folgendes Bild: Das Olivenöl wurde wieder etwas weicher, fast wie streichfähige Butter. Das Sonnenblumenöl verwandelte sich in eine pastenähnliche Substanz und das Leinöl verlor deutlich an Viskosität, sprich es verflüssigte sich wieder.




Die Frage ist, was das Eindicken einiger Öle bei Kälte beeinflusst.

Der Hintergrund, warum Öl bei Kälte "dick" wird oder sogar erstarrt, hängt laut der allgemein akzeptieren Lehrmeinung mit der Beweglichkeit der Moleküle und deren gegenseitiger Anziehung zusammen. Speiseöle bestehen nach dieser Lehrmeinung hauptsächlich aus Triacylglycerolen, die aus Fettsäuren und einem dreiwertigen Alkohol, dem Glycerin, aufgebaut sind. Demnach können die Fettsäuren gesättigt oder ungesättigt sein. Das bedeutet, dass sie entweder keine Doppelbindungen in ihrer Struktur aufweisen und somit gesättigt - also bei den Kohlenstoffatomen vollständig mit Wasserstoffatomen abgesättigt - sind oder mindestens eine Doppelbindung besitzen (ungesättigt – an einer Stelle fehlen zwei Wasserstoffatome). Gesättigte Fettsäuren sind gerade und können sich eng aneinanderlagern. Dadurch entstehen stärkere intermolekulare Anziehungskräfte. Ungesättigte Fettsäuren hingegen besitzen – je nach Anzahl der Doppelbindungen – einen oder mehrere „Knicks“ in ihrer Struktur. Also einen Knicks bei einer Doppelbindung, zwei Knicks bei zwei Doppelbindungen, drei Knicks bei drei Doppelbindungen etc. Diese Knicks verhindern eine dichte Packung der Moleküle und schwächen die intermolekularen Kräfte. Diese zwischenmolekularen Anziehungskräfte gehören zu den Van-der-Waals-Kräften. Bei höheren Temperaturen bewegen sich die Moleküle eines Öls schneller und bleiben in einem flüssigen Zustand, weil die thermische Energie die schwachen Van-der-Waals-Kräfte überwinden kann.


Wenn die Temperatur jedoch sinkt, verlieren die Moleküle kinetische Energie, bewegen sich langsamer und kommen einander näher, wodurch die intermolekularen Anziehungskräfte stärker wirken können. Bei niedrigen Temperaturen beginnen sich die Fettsäuren im Öl (vor allem die gesättigten) zu organisieren und kristallisieren, weil sich die geraden Molekülketten der gesättigten Fettsäuren eng aneinanderlagern können. Einfach ungesättigte Fettsäuren wie die Ölsäure kristallisieren ebenfalls, aber erst bei etwas tieferen Temperaturen. Mehrfach ungesättigte Fettsäuren mit ihren "Knickstrukturen" lagern sich weniger effizient und bleiben bei Kälte länger flüssig. Je höher der Anteil an mehrfach ungesättigten Fettsäuren eines Öls ist und je ungesättigter die Fettsäuren desselben Öls sind, desto dünnflüssiger ist es und desto länger bleibt es auch in kühler Umgebung fliessfähig.


Deshalb scheint es sinnvoll, dass das Fett der "fetten" Kaltwasserfische (Lachse, Heringe, Makrelen etc.), die auch Kaltblüter sind - je nach Art - bis zu einem Drittel aus mehrfach ungesättigten Fettsäuren besteht, und von diesen mehrfach ungesättigten Fettsäuren je nach Art 40 bis 50 % fünf- und sechsfach ungesättigt (EPA & DHA) sind. Somit dienen diese quasi als Frostschutzmittel.


Zurück zum Olivenöl: Nicht jedes Olivenöl weist das gleiche Fettsäureprofil auf. Einfluss auf das Fettsäureprofil haben Olivensorte, Anbauregion, Anbauart, Erntezeitpunkt, Verarbeitung und Lagerung. Deshalb werden sich ein Öl aus grün geernteten andalusischen Picual-Oliven und ein Öl aus spätgeernteten tunesischen Chemlali-Oliven unter Einfluss von Kälte nicht gleich verhalten.


Der Kühlschranktest ist zwar durchaus ein interessantes Unterfangen, aber er ist eine ungeeignete Prüfmethode, um die Echtheit und erst recht um die Qualität eines Olivenöls zu ermitteln.


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